Wem gehört der Bodensee?

Der Bodensee ist die einzige Gegend in Europa, in der die Grenzen zwischen den Anliegerstaaten nie exakt festgelegt worden sind. Vor dem Dreißigjährigen Krieg war der Bodensee ein Binnensee des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, so dass keine Notwendigkeit bestand, Grenzen zu ziehen. Allerdings haben die ungeregelten Hoheitsverhältnisse am Bodensee die Anliegerstaaten nie daran gehindert, sich einvernehmlich über die gesamte Nutzung des Bodensees zu einigen. Drei Staaten teilen sich heute den Bodensee: Deutschland mit den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern, die Schweiz mit den Kantonen St. Gallen und Thurgau sowie Österreich mit dem Bundesland Vorarlberg. Da sollte man bei einem so großen See im Herzen Europas meinen, dass die Grenzen in und um das Gewässer eindeutig festgelegt sind. Interessanterweise sind sie das aber nicht – gerade deshalb funktioniert die überstaatliche Zusammenarbeit einwandfrei.

Klar geregelt sind die Verhältnisse am Untersee. Im Jahr 1854 einigten sich das damalige Großherzogtum Baden und der schweizerische Kanton Thurgau auf die Mitte des Rheins und des Rheinsees als Landesgrenze. Auch für den Konstanzer Trichter gibt es zwischen dem deutschen Konstanz und dem schweizerischen Kreuzlingen seit 1878 eine eindeutig definierte Grenze, die 1938 noch einmal in einem neuen Staatsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz bestätigt wurde. Eindeutig ist schließlich auch, dass der Überlinger See – also der Seeteil zwischen Meersburg und Bodman – allein zu Baden-Württemberg gehört.

Juristisch nicht geregelt sind die Hoheitsverhältnisse dagegen am Obersee zwischen der Linie Meersburg–Konstanz (exklusive dem Konstanzer Trichter) und Bregenz. Juristen, Historiker und Politiker in allen Anrainerstaaten haben sich mit diesem Problem befasst. Was in der praktischen Zusammenarbeit unkompliziert funktioniert, formulieren die Juristen völkerrechtlich in drei Theorien folgendermaßen:

  1. Die Kondominiumstheorie, wonach der Obersee bis zur Uferlinie, das heißt unter Ausschluss der im Alleineigentum des jeweiligen Anliegerstaates stehenden Anlagen wie Häfen oder Badeeinrichtungen, unter der gemeinsamen Hoheit aller Anrainerstaaten steht.
     
  2. Die Haldentheorie, wonach der Bereich der Halde, deren Grenze bei 25 Metern Wassertiefe (Mittelwasserlinie) angesetzt wird, der Hoheit des jeweiligen Uferstaates unterliegt, während die Hohe See ein Kondominium der Anrainerstaaten bildet.
     
  3. Die Realteilungstheorie, wonach die Grenze der territorialen Souveränität der Anrainerstaaten entlang der Mittellinie des Sees verläuft. Ein gemeinsames Hoheitsgebiet gibt es demnach nicht. Da sich bisher keine dieser Ansichten international durchgesetzt hat, sind die Hoheitsrechte am See zwar nicht klar geregelt, doch in der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit bisher reibungslos. Die Staaten sind sich einig, dass ein ufernahes Gebiet zum jeweiligen Anrainerstaat gehört. Die große restliche Wasserfläche des Obersees wird heute als gemeinsames Eigentum der drei Anliegerstaaten angesehen und gemeinsam verwaltet, was dank der intensiven Zusammenarbeit in zahlreichen internationalen Kommissionen sehr gut funktioniert.